Mit dem Leben davongekommen

  17 Mai 2017    Gelesen: 1028
Mit dem Leben davongekommen
Christel P. lebte mehrere Monate im Horrorhaus von Höxter - wenn man ihre Zeit dort überhaupt als Leben bezeichnen kann. Vor Gericht hat die vielleicht wichtigste Zeugin nun ihr Martyrium geschildert.
Dieses schlimme Bild, sagt Christel P., bis heute erscheine es in ihren Albträumen: Wie Wilfried W. im Ziegenstall vor ihr stehe und mit der Schippe gegen sie aushole. In Wirklichkeit soll dies im März 2012 geschehen sein, die Narbe auf ihrer Stirn sei mittlerweile verblasst, mit Schminke leicht abzudecken, so erzählt sie es dem Richter. Noch am selben Tag hätten Wilfried und Angelika W. sie in den Zug gesetzt, zurück nach Hause, nach Magdeburg. Ende eines Horrortrips.

Begonnen hatte er mit Hoffnung: Als Wilfried und Angelika W. im Winter 2011 mit dem Auto aus Höxter gekommen waren, um sie abzuholen, wartete Christel P. schon mit ihren Taschen draußen vor dem Plattenbau. Den Mann und die Frau, angeblich Geschwister, kannte sie nur vom Telefon. Sie hatte auf seine Annonce geantwortet: Bauer sucht Frau, ich bin lieb, nett, suche Frau fürs Leben - etwas in der Art. Christel P. war geschieden und seit zwei Jahren allein.

Heute kommt ihr die Rolle als zentrale Zeugin im Höxter-Prozess zu - als die Frau, die davonkam. Zwei Leidensgenossinnen fanden später im sogenannten Horrorhaus den Tod, die einstigen Eheleute Wilfried und Angelika W. müssen sich wegen Mordes vor dem Landgericht Paderborn verantworten.

Christel P. sitzt auf dem Zeugenstuhl, vermeidet den Blick zu ihren Peinigern. Wilfried und Angelika W. beobachten ihr einstiges Opfer interessiert: eine übergewichtige Frau im grauen T-Shirt, das Gesicht vom Leben gezeichnet, kinnlanges Haar, dunkle Augen, 52 Jahre alt. In ihren Händen hält sie einen kleinen Plüschpinguin. "Ihr Beruf?", erkundigt sich der Vorsitzende Richter Bernd Emminghaus. "Betonwerkerin", sagt Christel P. Das ist lange her. Es kamen Aushilfsjobs, seit ihrer Zeit in Höxter lebt sie von Arbeitslosengeld, ebenso wie auch Wilfried und Angelika W.

"So ein Hundefängerauto"

Schon die Fahrt nach Höxter mutete sonderbar an: "Es war so ein Hundefängerauto", berichtet die Zeugin, sie habe den Platz hinter dem Gitter auf der Ladefläche zugewiesen bekommen. "Ein Gentleman hätte das nicht gemacht", kommentiert der Vorsitzende.

Dann erzählt Christel P., wie sie spät nachts in Höxter ankamen, Wilfried ihr noch die Gänse, Hühner, Schweine zeigte und sie sich dann im Wohnzimmer auf die Couch schlafen legten, es war der einzige beheizbare Raum des Hauses. Auch Angelika W. nächtigte dort, auf einer Matratze am Boden.

Der Vorsitzende fragt die Zeugin nach dem Zustand des Hauses, in den Zeitungen waren Fotos zu sehen gewesen; schwer vorstellbar, dass eine Frau bei Verstand auch nur einen Fuß über die Schwelle setzt. Bad und Schlafzimmer seien ungeheizt geblieben, berichtet Christel P. Nur in der Stube gab es den Ofen. Warm Duschen: einmal die Woche. "In den anderen Zimmern lag Müll, die Wände waren nass, Schimmel, in der Küche sind die Tapeten runtergekommen."

"Da könnte man sich ja unwohl fühlen oder ekeln", hakt Emminghaus nach. "Ja", sagt Christel P. "Wie kommt's dann, dass Sie sagen: Ich bleibe da?" - "Weil man aus dem Haus was machen könnte." Aber solch eine Renovierung koste doch Geld. Geld, das die beiden offenbar nicht hatten. Ob sie da nicht nachgefragt habe? "Nein", sagt Christel P., "ich habe keine Fragen gestellt."

Stattdessen hätten Wilfried und sie in der ersten Nacht gekuschelt, nach ein paar Tagen seien sie sich näher gekommen. Wie die sexuelle Erfahrung mit ihm gewesen sei, will der psychiatrische Gutachter wissen. "Schön", sagt Christel P. mit rauer Stimme. "Keine Gewalt?" Die Zeugin schüttelt den Kopf. "Ne, dabei nie." Angelika habe sie bei diesen Gelegenheiten allein gelassen, auch wenn sie erkennbar eifersüchtig gewesen sei und "herumgegiftet" habe.

Christel P. drückt ihren Stoff-Pinguin

In den ersten drei Wochen, sagt Christel P., habe es ihr gut gefallen: "Ich hätt mir mehr vorstellen können. Vielleicht für ewig dazubleiben." Und der Mensch Wilfried? "Es war ein ganz lieber netter junger Mann." - "Haben Sie ihn geliebt?", fragt Angelikas Verteidiger Peter Wüller. - "Ja", sagt Christel P. und drückt den Pinguin.

Doch dann, nach Silvester, sei die Stimmung gekippt. "Ich saß auf der Couch, da kam die erste Backpfeife." Aus heiterem Himmel. "Ich war verdattert, ich hab ja nichts gemacht", sagt Christel P. "Ich bin dann in die Ecke gegangen und hab geweint."

Von da an habe Wilfried sie immer wieder ohne Anlass regelmäßig grün und blau geschlagen, mit der flachen Hand ins Gesicht, mit der Faust auf den Körper. Sie saß in der Falle, habe sich gefangen gefühlt. Mehrfach habe sie gesagt, sie wolle weg, nach Hause. "Geh doch!", habe Wilfried gesagt. Aber alle Türen nach draußen seien verschlossen gewesen. "Ich war keine Minute allein." Alles hätten ihr die Beiden abgenommen: Portemonnaie, Führerschein, den Magdeburger Wohnungsschlüssel, ihr Geld: "Ich konnte nicht gehen."

Einmal habe sie den Versuch unternommen, die Nachbarn auf ihre Lage aufmerksam zu machen - ohne Erfolg. Danach habe Wilfried sie in der Küche zu Boden gebracht und gewürgt, bis fast zur Bewusstlosigkeit. Anschließend habe Angelika sie mit einem Pfefferspray attackiert.

Angelika habe ihr die Haare geschoren und sie einige Male im Stall bei den Schweinen angekettet, barfuß habe sie im Mist stehen müssen, erzählt Christel P. Aber sie sei auch Zeugin geworden, wie Wilfried seine vermeintliche Schwester Angelika misshandelte: "Einmal ist er total ausgerastet. Er warf sie zu Boden und zog sie an den Haaren über einen Parkplatz." Angelika hatte eine offene Wunde an der Schulter, eine schlimme Verbrennung. "Da schlug er ihr drauf." Warum? "Damit sie schreien tut."

Auf seinem Laptop habe er ihr Bilder von Angelika gezeigt, kahlgeschoren, mit blauen Flecken. "Da waren auch noch Bilder von anderen Frauen, die sahen auch so aus."

Sie musste das Katzenklo benutzen

Christel P. findet nicht leicht Worte für das, was ihr angetan wurde. Ein Nebenklageverteter stellt sich der Zeugin vor: "Mein Name ist Roland Weber, ich vertrete die Mutter von Anika W., die in dem Haus gestorben ist." Christel P. wendet sich zu ihm. "Gab es noch weitere Szenen, wo Sie erniedrigt wurden?" - "Nein." - "Konnten Sie denn zur Toilette gehen?" - "Nachts nicht. Da war alles abgeschlossen." - "Was haben Sie dann gemacht?" Christel P. flüstert fast: "Katzenklo." Wie die beiden damit umgegangen seien, fragt Weber. "Die haben gelacht."

"Trifft es zu, dass Sie Wilfrieds Füße lecken mussten?", fragt Verteidiger Wüller. "Ja. Aber nur einmal."

Dann ist Pause, Christel P. dreht sich von ihren Peinigern weg und bricht in Tränen aus, Angelika W. mustert sie von hinten, ein leises Lächeln um die Mundwinkel. Es gibt Nachfragen zur Aussage von Christel P., sie soll Ende Mai erneut vor Gericht erscheinen.

"Was ich erlebt habe, wünsche ich keinem"

Bevor Wilfried und Angelika W. sie 2012 in den Zug nach Hause setzten, sollte Christel P. am Bahnhof eine Vereinbarung unterschreiben, in zweifacher Ausfertigung, und dafür einen weiteren Unterzeichner finden: "Sämtliche blauen Flecke, die Frau P. derzeit hat, am rechten Knie, am rechten Auge, hat sie sich durch einen Treppensturz selbst zugezogen." Christel P. hatte die frische Wunde vom Schlag mit der Schippe im Gesicht. Ein junger Mann unterschrieb.

Zu Hause habe sie den Schrank vor ihre Wohnungstür gerückt, tagelang sei sie nicht nach draußen gegangen. "Was ich erlebt habe, wünsche ich keinem, dass er das erleben tut", sagt Christel P. und wischt sich über die Wange. "Ich wollte sie damals anzeigen, aber ich hab Angst gehabt." Sie sprach mit niemandem darüber.

Erst im letzten Jahr sah sie plötzlich im Fernsehen das weiße Haus in Höxter, und hörte, dort sei ein Mord geschehen: "Da bin ich zusammengebrochen." Danach ging sie zur Polizei.

Quelle : spiegel.de

Tags:


Newsticker