Was wollen die WHO-Experten in Wuhan?

  06 Januar 2021    Gelesen: 444
  Was wollen die WHO-Experten in Wuhan?

Zehn WHO-Experten stehen bereit, um in China die Ursprünge des Coronavirus zu erkunden. Noch lässt das Land sie nicht einreisen, aber was genau haben die international führenden Virologen, Epidemiologen und Biologen dort vor?

Die chinesische Millionenstadt Wuhan in der Provinz Hubei gilt als Ursprungsort der Corona-Pandemie, nicht zuletzt, weil dort die ersten Covid-19-Erkrankungen registriert wurden. Das ist mittlerweile ein Jahr her. Die rätselhafte Häufung von Lungenkrankheiten hat sich als Beginn einer weltweiten Erkrankungswelle erwiesen, während der inzwischen fast zwei Millionen Menschen gestorben sind.

Eine Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation wollte eigentlich jetzt in Wuhan seine Arbeit aufnehmen, um den Ursprung des Sars-CoV-2 weiter zurückzuverfolgen. Doch noch haben die chinesischen Behörden nicht alle erforderlichen Visa ausgestellt, um die Untersuchung des internationalen Expertenteams vor Ort zu ermöglichen. Dabei ist es aus Sicht der Epidemie-Experten wichtig, genauere Aussagen zur Herkunft des Virus treffen zu können. Ein besseres Verständnis, wie die Epidemie begann, kann helfen, weitere Einschleppungen zu verhindern.

Die WHO hatte deshalb Virologen, Epidemiologen und andere Fachleute eingeladen, sich für die Mission zu bewerben, und schließlich ein zehnköpfiges Expertenteam zusammengestellt. Deutschland wird dabei durch Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut (RKI) vertreten. Er ist Experte für Zoonosen, also für Infektionen, die von tierischen Trägern auf den Menschen übergegangen sind.

Genau das ist die plausibelste Hypothese zur Herkunft von Sars-CoV-2. Vermutlich stammt der Erreger aus dem Tierreich. Dafür spricht, dass bei ähnlichen Erregern wie Sars oder Mers ebenfalls ursprünglich in Tieren vorkommende Erreger für menschliche Erkrankungen gesorgt hatten. Die WHO schätzt, dass mittlerweile etwa 70 Prozent der neu und wieder auftretenden Krankheitserreger von Tieren stammen. Einige der häufigsten und tödlichsten Krankheiten des Menschen werden durch Bakterien oder Viren tierischen Ursprungs verursacht. Dazu gehören unter anderem Ebola, Vogelgrippe, Lepra, Tollwut oder auch das Zika-Virus.

Suche nach genetischen Verwandten

Die Vorläufer von Sars-CoV-2 haben sich in Fledermäusen entwickelt. Bislang gilt RaTG13 als ähnlichster Virenstamm. Dieser Coronavirentyp wurde 2013 in der chinesischen Provinz Yunnan erstmals aus Java-Hufeisennasen (Rhinolophus affinis) isoliert. Allerdings liegt die genetische Übereinstimmung der Viren nur bei etwa 96 Prozent. RaTG13 bindet beispielsweise noch nicht gut genug an Oberflächen von menschlichen Körperzellen. Das betrifft vor allem das Spike-Protein, das sich schließlich als effizienter Infektionsmechanismus bei Menschen erwiesen hat. Diese Fähigkeit muss es sich in einem anderen Wirt angeeignet haben. Deshalb wird vermutet, dass es noch ein tierisches Virenreservoir geben muss, bei dem die Coronaviren der jetzigen Variante genetisch noch ähnlicher sind.

Nach diesem tierischen Reservoir zu suchen, ist eine der Herausforderungen der Forscher in China. Es könnte sich dabei um eine weitere Fledermausart handeln, aber auch Schleichkatzen gelten als eine Möglichkeit. Bei Mers stellte sich schließlich heraus, dass es von Fledertieren auf Dromedare und dann auf Menschen übergesprungen war. Fürs Sars-CoV-2 könnten auch Pangoline infrage kommen. In den Schuppentieren wurde ein Coronavirus gefunden, dessen Spike-Protein bereits größere Ähnlichkeit mit dem von Sars-CoV-2 hat.

Der deutsche Zoonosen-Experte Leendertz kündigte an, man wolle auf dem Wildtiermarkt in Wuhan auf Spurensuche gehen. Dabei geht es um die Fragen, welche Tiere dort überhaupt gehandelt wurden, ob sie gezüchtet oder in freier Wildbahn gefangen worden sind. Besonders interessiert sind die Forschenden dabei an Aufzeichnungen aus der Zeit vor dem Ausbruch. Für die Arbeit der Wissenschaftler sei es von Vorteil, wenn sie auf "frische Spuren" träfen, hatte Leendertz kürzlich der Nachrichtenagentur AFP gesagt. Das sei aber nicht zwingend erforderlich. Er habe sich beispielsweise erst kürzlich damit beschäftigt, wie die Röteln vor 25.000 Jahren vom Tier auf den Menschen überspringen konnten.

Wer ist der echte Patient null?

Eine weitere wichtige Informationsquelle könnten medizinische Proben sein, die in den Krankenhäusern der Stadt gesammelt wurden. Dabei geht es beispielsweise um Blutproben, in denen sich Viren nachweisen lassen, oder auch um Antikörper-Nachweise. Experten vermuten, dass es bereits vor den ersten bestätigten Covid-19-Fällen, die damals noch als Lungenkrankheit diagnostiziert wurden, Infizierte gegeben haben könnte, die keine oder nur milde Symptome hatten.

Bisher gibt es keinen eindeutig identifizierten Patienten null. In Medienberichten werden immer wieder drei Personen erwähnt: Ein 55-Jähriger aus der Provinz Hubei, der sich bereits Mitte November 2019 infiziert haben soll, eine Garnelen-Verkäuferin vom Großmarkt in Wuhan, außerdem ein Mann, der am 1. Dezember 2019 die ersten Symptome entwickelt haben soll. Fände man den echten Patienten null, könnte man aus seinen Lebensumständen oder Ernährungsgewohnheiten möglicherweise auf das Virusreservoir schließen.

Die WHO-Experten wollen sich, wenn sie denn endlich einreisen können, fünf bis sechs Wochen in China aufhalten und bleiben dabei vermutlich auch von politischen Erwägungen nicht völlig unbehelligt. Leendertz hatte betont, es gehe bei der Mission nicht darum, Schuldige zu finden, sondern darum, zu verstehen, "was geschehen ist, um die zukünftigen Risiken zu verringern".

Doch in Chinas staatlichen Medien wird immer wieder betont, das Virus sei zwar in Wuhan zuerst entdeckt worden, aber es stamme nicht von dort. Inzwischen wird die im Frühjahr populäre Version, das Virus sei von der US-Armee nach China eingeschleppt worden, nicht mehr verbreitet. Stattdessen wird nun davon gesprochen, dass das Virus in möglicherweise mehrere Länder und Regionen zurückverfolgt werden könne. Dabei werden immer wieder der indische Subkontinent und mögliche Übertragungen durch Tiefkühlimporte genannt. Aber das ist aus Sicht der Experten ebenso wenig plausibel wie die sogenannte Labortheorie, nach der das Virus aus einem Labor in Wuhan stammt und von dort - beabsichtigt oder nicht - in die Außenwelt gelangte.

Quelle: ntv.de


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