Wieder so weit? „Germans to the front!“

  09 Februar 2018    Gelesen: 1653
Wieder so weit? „Germans to the front!“
Am 22. Juni 1900 beendete der britische Admiral Sir Edward Hobart Seymour den Vorstoß seiner aus acht Nationen bestehenden Streitmacht auf Peking. Er musste den Rückzug einleiten. In diesem Moment kam sein Befehl: „The Germans to the front!“ Diese Streitmacht einer Koalition der Willigen sollte erst vom Aufmarsch gegen Irak 1991 überboten werden.

In den Geschichtsbüchern wird heute noch auf die sogenannte Hunnenrede von Kaiser Wilhelm II. hingewiesen, der am 27. Juli 1900 bei der Einschiffung eines weiteren Kontingents seine Soldaten aufforderte, kein Pardon zu geben.

Künftig wird neben dieser Rede auch die blutigste deutsche Militäraktion seit 1945 zu nennen sein: Die Bombardierung zweier Tanklaster in Kundus am 4. September 2009, bei der zwischen 91 und 141 Menschen starben. Die Familien von diesen 91 Toten und von 11 Schwerverletzten erhielten je 5000 US-Dollar.

Den Befehl zur Bombardierung gab der damals 48-jährige Bundeswehr-Oberst Georg Klein, der trotz dieser katastrophalen Fehlentscheidung später zum Brigadegeneral befördert wurde. Anscheinend haben die Deutschen im Krieg etwas Martialisches an sich – zumindest was das Bild im Ausland angeht.

Und nun sollen sie die Verantwortung für die europäische Sicherheitspolitik übernehmen?

Am 6. Februar 2018 trat Prof. James D. Bindenagel, US-Botschafter a.D. und Leiter des „Center for International Security and Governance“ an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, mit seinem Artikel „Neue Weltordnung“ in die geistigen Fußstapfen von Admiral Seymour: „Die USA haben ihre Führungsrolle abgegeben, nun muss Deutschland mehr Verantwortung tragen“ – und die Führungsrolle übernehmen.

Auf Deutschland ruhe die größte Hoffnung, wenn es um die Verteidigung der liberalen Weltordnung geht. Bindenagel zufolge löst sich durch den wachsenden Nationalismus in China und Russland die internationale Ordnung auf, während Trump mit seiner nationalistischen Politik die Führungsrolle Amerikas in internationalen Angelegenheiten abgibt.

Zugleich stellt für Bindenagel Deutschlands neues internationales Standing eine historische Verschiebung der Machtverhältnisse dar, die er wie folgt in Schwarz-Weiß-Manier begründet:

„Nachdem die Demokratie mit der gescheiterten Revolution von 1848 eine Niederlage erlitten hatte, vereinte Otto von Bismarck Deutschland mit ‚Blut und Eisen‘. Von 1871 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dominierte der Militarismus die deutsche Sicherheitspolitik. Nach dem Niedergang des Nationalsozialismus 1945 ist Deutschland in den vergangenen siebzig Jahren von den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust zu einer Zivilmacht aufgestiegen, zu Europas führender Demokratie. Bleibt die Frage, ob nach dieser historischen Verschiebung von einem Extrem zum anderen jetzt die Balance zwischen Krieg und Frieden gefunden werden kann.“

Also vor 1945 nur Militarismus in Deutschland und heute eine Musterdemokratie? Ganz so einfach darf man es sich nicht machen. Woodrow Wilson, der seit 1890 Professor für Rechtswissenschaft und Nationalökonomie in Princeton war, besuchte vor dem Ersten Weltkrieg Westeuropa, um hier die Regierungssysteme zu studieren. Das Ergebnis war das 1913 erschienene Buch „Der Staat“. Im Vorwort zeichnete er ein wesentlich freundlicheres Deutschlandbild:

„Das amerikanische Volk verdankt der geistigen Befruchtung durch Deutschland so viel, dass es einem jeden Amerikaner nur große Genugtuung bereiten kann, wenn auch Werke amerikanischer Autoren in Deutschland Verbreitung und Anerkennung finden.“

Und auf Seite 225 schreibt Wilson über die deutsche Reichsgründung: „Den letzten Antrieb zur Erreichung vollständiger nationaler Einigkeit brachte der deutsch-französische Krieg von 1870-71. Die glänzenden Erfolge Preußens in diesem Kampfe, der im Interesse des deutschen Patriotismus gegen französische Unverschämtheit geführt wurde, machte der kühlen Zurückhaltung der Mittelstaaten ihrem großen Nachbarn im Norden gegenüber ein Ende.“

Bei Kriegsbeginn 1914 waren unter den deutschen Patrioten unverhältnismäßig viele jüdische Mitbürger, die zu den Fahnen strömten. Margarete Marasse schrieb dazu in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ vom 4. September 1914 unter dem vielsagenden Titel „Der heilige Krieg“, die deutschen Juden drängten zu den Fahnen „mit einem starken Glücksgefühl, mit leuchtenden Augen … im Augenblick einer nationalen Erhebung ohnegleichen“.

Für die jüdische Minderheit in Deutschland war es unbegreiflich, wie die angelsächsischen Demokratien sich gegen das friedliche Deutschland wenden und sich dem totalitären Russland verbinden konnten, in dem die Juden vielen Pogromen ausgesetzt waren.

sputniknews


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