Abgrenzung oder Ausgrenzung?

  19 Juni 2019    Gelesen: 622
Abgrenzung oder Ausgrenzung?

Heute beginnt der 37. Evangelische Kirchentag. Die AfD ist dieses Mal nicht eingeladen.

Die Diskussion läuft in mehrere Richtungen: Ist die Abgrenzung richtig oder ist es eine falsche Ausgrenzung? Oder ist der Ausschluss gar ein PR-Erfolg für die Rechtspopulisten?

Warum ist die AfD ausgeschlossen worden?

„Radikale Einstellungen, die ganze Menschengruppen abwerten und sogar Rassismus und Antisemitismus befördern, haben auf öffentlichen Podien des Kirchentages nichts zu suchen“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohmim, im Interview der Passauer Neuen Presse.

Unter dem Eindruck der Radikalisierung der Partei nach den rassistischen Ausschreitungen von Chemnitz habe der Kirchentag beschlossen, dass Politiker dieser Partei nicht auf den Podien vertreten sein sollen. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Bedford-Strom: „Ich erwarte einen Klärungsprozess dazu, ob die AfD diese rechten Einstellungen als Teil ihrer Partei duldet oder sogar will oder ob sie sich abgrenzt. Das steht noch aus.“

Kirchentagspräsident Hans Leyendecker verteidigte die Entscheidung ebenfalls. „Ich glaube, inzwischen ist klar: Man kann Täter nicht zu Opfern machen“, sagte Leyendecker dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Die Radikalisierung der AfD ist weiter vorangeschritten – zugleich verstärkt sich die Abwehr von Menschen, die sagen: Nicht mit uns.“ Er glaube daher, „es war und ist richtig, die Dramatisierungslogik nicht weiter zu bedienen, sondern der AfD zu sagen: Schluss – Euren führenden Köpfen geben wir auf dem Kirchentag kein Podium“, sagte Leyendecker.

Was ist mit AfD-Wählern?

Bedford-Strohm sagte, dass er mit Menschen, die die AfD wählen oder sich in der Partei engagieren, im Gespräch bleiben wolle. Sie seien willkommen. Dazu brauche es jedoch einen Grundkonsens: „In der AfD gibt es Menschen, die sich als konservativ verstehen aber auch solche, die rechtsradikale Auffassungen vertreten und damit in diametralem Gegensatz zu christlichen Grundüberzeugungen stehen.“

Man könne nicht Christ sein und gleichzeitig Grundüberzeugungen vertreten, „die ganze Menschengruppen diffamieren, antisemitische und rassistische Einstellungen vertreten und Angst verbreiten“. Der AfD nahe fühlten sich Menschen aus ganz unterschiedlichen Motiven, so Bedford-Strohm weiter: „Da gibt es Protestwähler ebenso wie Konservative, die sonst keine politische Heimat sehen. Es gibt aber auch Rechtsextreme in der AfD und ihrer Führung, die menschenfeindlich sind und sich im tiefen Widerspruch zum Christentum bewegen. Wer die AfD unterstützt und wählt, gibt ihnen Deckung.“

Was sagt die AfD dazu?

Volker Münz, der kirchenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag schrieb bei Facebook, dass die Haltung des Kirchentagspräsidiums scheinheilig sei. „Auf der einen Seite wird der Kirchentag von den Veranstaltern als Ort der Vielfalt und Toleranz, wo verschiedene Meinungen aufeinandertreffen sollen, bezeichnet. Auf der anderen Seite wird der Dialog mit Mitgliedern der größten Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag verweigert“, schreibt Münz. Der Kirchentag habe nicht mehr viel mit Kirche zu tun.

Gibt es weitere Kritik?

Der Zeithistoriker Michael Wolffsohn kritisierte die Entscheidung deutlich. „Darüber schafft man Märtyrer. Ein großartiger Propagandaerfolg, den die AfD der EKD zu verdanken hat, oder den Organisatoren des Kirchentages“, sagte er im Deutschlandfunk. Auch Ilse Junkermann, Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, ist unzufrieden. „Wenn es uns in der Auseinandersetzung mit der AfD darum geht, die Demokratie zu erhalten und zu stärken – auch gegenüber ihrem Populismus und ihren bewusst gesetzten Tabubrüchen – dann ist es sehr wichtig, dass wir mit den Mitteln der Demokratie dieses aufdecken und nicht aufgeben, sondern auf die Kraft des Wortes setzen und die Kraft des Diskurses“, sagte sie im Deutschlandfunk.

Der FDP-Politiker Stefan Ruppert warf dem Kirchentag politische Einseitigkeit vor. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst sprach Ruppert von einer „grünen Einseitigkeit“. „Das ist empirisch belegbar, wenn man sich das Programm anschaut“, sagte der kirchenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der selbst evangelischer Christ ist. Von der FDP-Fraktion sei lediglich der Parlamentarier Roman Müller-Böhm eingeladen worden. Zur AfD sagte Ruppert: „Ich persönlich finde, dass man sich dieser Partei aktiv stellen muss, so sehr man auch deren Inhalte als Christ ablehnt“, sagte er.

Gibt es Zuspruch?

Grünen-Fraktionschein Katrin Göring-Eckardt unterstützt das Vorgehen des Kirchentags. „Der Kirchentag ist nicht dazu da, eine Plattform zu bieten für rassistische Ideologie. Deshalb können AfD-Mitglieder gerne kommen und singen, beten, diskutieren. Aber sie werden kein Podium für Hetze bekommen“, sagte sie der Ostsee-Zeitung.

Der Vorsitzende des deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, verteidigte den Ausschluss von AfD-Vertretern ebenfalls. Es gebe dort auch ohne die AfD Veranstaltungen, bei denen rechtskonservative Positionen zu Wort kommen können, sagte Dabrock im Deutschlandfunk. Positionen, die offen Sympathie zu Rassismus haben, wolle man jedoch nicht zulassen. Die AfD habe die nötige Abgrenzung nicht vorgenommen. Sie spiele bewusst mit Doppelformulierungen wie die „Regierung jagen zu wollen“.

Welche Politiker kommen?

In Dortmund diskutieren zahlreiche Menschen aus der Politik. Darunter sind als prominenteste Namen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Außenminister Heiko Maas (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Von den Grünen werden unter anderen Parteichef Roland Habeck, Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und weitere Bundestagsabgeordnete erwartet. 

Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) sind genauso dabei wie die beiden Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff und Joachim Gauck. Letzterer forderte erst kürzlich „mehr Toleranz“ gegenüber rechten Positionen.

Worum soll es beim Kirchentag gehen?

Beim Kirchentag, zu dem etwa 100.000 Besucher erwartet werden, geht es nach Ansicht Bedford-Strohms um die Frage, „mit welcher Lebenshaltung wir eigentlich auf die Welt zugehen. Da ist das alte Wort Frömmigkeit hochaktuell. Indem wir beten und meditieren, sickern Grundüberzeugungen der Hoffnung und des Vertrauens in unsere Seele ein.“ Er hoffe, dass dieser Kirchentag „ein großes Fest des Vertrauens, des Glaubens, ein Fest der Lebensfreude wird“.

Die Veranstaltung werde sich neben Gottesdiensten und Gebeten aber auch aktuellen Themen wie Klimawandel und Seenotrettung widmen. Zu den von Greta Thunberg initiierten „Fridays for Future“-Schülerstreiks sagte Bedford-Strohm: „Ich bin froh, dass die Fragen des Klimaschutzes endlich im Zentrum unserer öffentlichen Diskussion angekommen sind. In Deutschland liegen die CO2-Emissionen im Jahr zwischen neun und zehn Tonnen pro Kopf. In Tansania sind es null Tonnen pro Jahr. Das ist zutiefst ungerecht.“ Nach seinem Besuch bei den Seenotrettern der „Sea-Watch3“ im Mittelmeer beklagte der Bischof außerdem „fehlende Humanität in der Flüchtlingspolitik“. Der aktuelle Zustand sei „unerträglich“ und eine „Schande“.

 

Deutschlandfunk


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