"Eine EZB-Präsidentin ist nicht allmächtig"

  01 November 2019    Gelesen: 813
"Eine EZB-Präsidentin ist nicht allmächtig"

Während der Amtszeit von Mario Draghi hat die EZB die Zinsen zum Leidwesen der Sparer praktisch abgeschafft. Im Interview mit n-tv.de erklärt DIW-Präsident Fratzscher warum es nicht allein in der Macht seiner Nachfolgerin Christine Lagarde stehen wird, dies zu ändern, und wie gefährlich eine ultralockere Geldpolitik wirklich ist.

n-tv.de: Die Ära von Mario Draghi ist beendet. Christine Lagarde übernimmt heute offiziell den Chefsessel. Was erwarten Sie von dem Wechsel an der EZB-Spitze?

Marcel Fratzscher: An der Geldpolitik wird sich nicht viel ändern. Ich erhoffe mir aber, dass die EZB in Zukunft besser kommuniziert und den Menschen in Deutschland erklärt, wieso die Zinsen niedrig sind und das auch im Interesse von uns Deutschen ist.

Für wie qualifiziert halten Sie Lagarde? Immerhin ist sie keine Ökonomin…

Ich halte Frau Lagarde für sehr qualifiziert. Eine EZB-Präsidentin oder ein EZB-Präsident braucht vor allem drei Dinge: Er oder sie muss die Geldpolitik verstehen, die Politik zum Handeln drängen und gut kommunizieren können. Was die Geldpolitik angeht, hat Frau Lagarde sicherlich Aufholbedarf. Dafür hat sie als IWF-Chefin aber viel Erfahrung im Umgang mit Krisen, und sie ist eine exzellente Kommunikatorin. Ihre große Stärke wird es sein, den Menschen zu erklären, was sie am Euro haben.

Was muss Lagarde als erstes in Angriff nehmen?

Sie muss ganz dringend Brücken schlagen. Gerade die Deutschen fühlen sich ausgeschlossen und werfen der EZB vor, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt werden. Ihr muss es gelingen, alle wieder an Bord zu holen und gerade den Kritikern klarzumachen, dass jeder von einem stabilen Euro profitiert.

Nullzins, Strafzins für Banken, Anleihenkäufe. Draghi hinterlässt ein schwieriges Erbe. Eine radikale Kehrtwende ist von Lagarde nicht zu erwarten. Was bedeutet das für die Geldpolitik?

Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Frau Lagarde kann die Geldpolitik allein gar nicht ändern. Im EZB-Rat sitzen 25 unabhängige Männer und Frauen. Das sind alles Mehrheitsentscheidungen gewesen. Natürlich wollen wir, dass die EZB so schnell wie möglich aus der Nullzins-Phase aussteigen kann. Natürlich wollen wir, dass die Zinsen wieder steigen und die Sparer mehr Zinsen bekommen. Das gelingt aber nur mit mehr Wachstum in Europa, und dafür muss auch die Politik ihre Hausaufgaben machen. Das ist das Entscheidende. Ohne Reformen in der Fiskalpolitik werden die Zinsen niedrig bleiben. Die Geldpolitik hat ihre Möglichkeiten zum größten Teil ausgeschöpft. Eine EZB-Präsidentin ist nicht allmächtig.

Kritiker im EZB-Rat zeigen sich zermürbt vom "System Draghi", in dem der Präsident Entscheidungen durchgesetzt hat, statt den Konsens zu suchen. Wie kann Lagarde diesen Zwist innerhalb der Notenbank entschärfen?

Auch intern ist Kommunikation der Schlüssel. Gemeinsam einen Konsens zu finden, ist möglich. Das Gute ist: Es besteht nicht unbedingt Handlungsdruck. Frau Lagarde muss nicht sofort eine Kehrtwende vollziehen. Die EZB hat von der Politik einen Auftrag bekommen und der lautet: Preisstabilität. Diesen Auftrag verfehlt sie. Wir sollten nicht darauf bauen, dass die Zinsen besonders schnell steigen, solange die Politik wenig tut, um mehr Wachstum zu generieren.

Gefährdet die Zerstrittenheit innerhalb der EZB ihre Glaubwürdigkeit?

Die EZB hat schon an Glaubwürdigkeit verloren. Frau Lagarde muss diese Glaubwürdigkeit, gerade in Deutschland, erst wieder herstellen. In anderen Ländern wird die Geldpolitik der EZB mehr akzeptiert. Als Deutsche müssen wir aber auch selbstkritisch sein und akzeptieren, dass sich Draghi verdient gemacht hat. Gerade 2012, als er Europa vor einer größeren Krise gerettet hat.

Während Draghis Amtszeit hat die Notenbank die Zinsen zum Leidwesen der Sparer praktisch abgeschafft. Unter Lagardes Führung soll die Politik der EZB besser kommuniziert werden. Reicht das, um den Deutschen die Geldpolitik schmackhaft zu machen?

Nein, das reicht nicht. Frau Lagarde ist auf die Rückendeckung der Politik und vor allem der Bundesregierung angewiesen. Sie braucht ein klares Bekenntnis der Bundesregierung für die EZB-Geldpolitik. Die Bundesregierung muss sich demonstrativ hinter die EZB und Frau Lagarde stellen und sie vor Angriffen schützen. Sie darf in Zukunft nicht mehr als Sündenbock für die Fehler, die in Europa passiert sind, verantwortlich gemacht werden.

Kurz vor Ende seiner Amtszeit haben Ex-Notenbanker Draghi in einem Memorandum attackiert. Sie werfen ihm vor: Seine Politik habe zu einer "Zombifizierung" der Wirtschaft geführt: Je länger die ultralockere Geldpolitik anhalte, desto größer sei die Gefahr eines Rückfalls in die Krise. Haben die Kritiker Recht?

Die Unterzeichner des Memorandums sind weit über das Ziel hinausgeschossen. Sie machen die EZB für etwas verantwortlich, dass sie gar nicht erfüllen kann. Wir dürfen die EZB nicht überfordern und von ihr verlangen, was eigentlich Aufgabe der Politik ist. Die EZB wird auch in Zukunft nicht die Probleme der Politik lösen können. Solange wir nicht verstehen, dass der Hauptgrund für die niedrigen Zinsen nicht bei der EZB, sondern in der Wirtschafts- und Finanzpolitik liegt, solange wird es die EZB auch weiterhin schwer haben.

Welche Reformen muss Lagarde anschieben, um das Potential des Euro zu nutzen?

Frau Lagarde sollte den Euro zu einer globalen Währung ausbauen. Um uns gegen den Nationalismus aus den USA und China zu verteidigen und unsere Interessen zu wahren, brauchen wir einen starken internationalen Euro. Das ist nicht nur wirtschaftlich für deutsche und europäische Unternehmen enorm wichtig, sondern es ist auch politisch wichtig, damit wir weniger abhängig von der amerikanischen Leitwährung sind.

Mit Marcel Fratzscher sprach Juliane Kipper


Quelle: n-tv.de


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