Der Lehrer mit dem Stasi-Koffer

  03 Oktober 2015    Gelesen: 2947
Der Lehrer mit dem Stasi-Koffer
Wenn eine Diktatur stirbt, lebt der Geheimdienst weiter. Zumindest eine Zeit lang. Alte Seilschaften werden im Verborgenen gepflegt, frühere Spitzel schlüpfen in neue Rollen - geräuschlos, mit verklärter Vergangenheit. Jeder versucht, schnell unter den Mantel der Demokratie zu schlüpfen
Peter Mauksch aus Gera in Ost-Thüringen war so einer. Der Mann unterrichtete als Lehrer in der DDR an einer "Polytechnischen Oberschule" (POS); an der POS blieben Schüler in aller Regel von der ersten bis zur zehnten Klasse zusammen.

Als die Mauer im November 1989 fiel, war auch Mauksch` Zeit als POS-Lehrer schnell vorbei. Er kam in der Bezirksverwaltungsbehörde Gera unter und wurde Beauftragter für Schul-Organisation und Planung. Im November 1990 kündigte er, bevor ihm gekündigt wurde. Peter Mauksch hatte jahrelang für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) - besser bekannt unter Stasi - spioniert. Für den Geheimdienst der DDR hatte er geheime Berichte über Gespräche in Kirchenkreisen, mit Lehrern und Schülern geschrieben.

Die kalte Sprache der Stasi

Der Lehrer war "Inoffizieller Mitarbeiter" (IM). Er war von sich aus IM geworden - ohne Erpressung durch die Stasi, ohne Druck, ohne Repressalien. Im 16-Millionen-Einwohner-Staat DDR arbeiteten etwa 190 000 DDR-Bürger der Stasi zu, nicht alle so freiwillig wie Mauksch.

Im Schulamt der Stadt Gera gab es 1990 einen Mitarbeiter, der Journalisten auch schon mal für zehn Minuten allein in seinem Zimmer ließ. Im Computer war "zufällig" die Liste der belasteten Lehrer zu sehen - also der Lehrer, die für die Stasi irgendwelche Dienste geleitet hatten. Auf dieser Liste stand der Name Peter Mauksch, dazu der Vermerk "Leiter Euro-Schule".

Die Euro-Schule hatte ihren Hauptsitz in Stockstadt bei Aschaffenburg und bot vor allem in den damals neuen Bundesländern Umschulungen und Sprachunterricht an. Wende-Training und Einführung in die Demokratie unter Leitung eines Stasi-Spitzels?

Noch am Abend war Peter Mauksch in die Redaktion in Gera gekommen. Wir hatten ihn - was 1990 wegen uralter Technik nicht so einfach war - am Nachmittag mit einem Telefonanruf über unsere Recherchen informiert und befragt. Er bot sofort ein Gespräch an.

Ein Geheimdienst-Mitarbeiter und Lehrer, der sich offenbart? Ein Opfer, ein Mitläufer, ein Täter? Peter Mauksch ließ keine Zweifel: "Ja, ich habe für die Stasi gearbeitet. Ich habe Berichte geschrieben. Aber es ist niemandem ernsthaft ein Nachteil daraus entstanden. Ich war ein kleiner Fisch", sagte er. Woher er das wisse, das mit dem Nachteil, der niemandem entstanden sei? "Ich weiß doch, was ich über wen geschrieben habe." Warum überhaupt Stasi? "Wir wussten doch nicht, was alles dahintersteckte. Und wir wollten doch unserem Staat helfen, die Staatsfeinde zu finden." Auch von seiner Familie sprach Mauksch. "Warum wollen Sie über mich schreiben? Ich bin ruiniert, wenn das in der Zeitung steht", sagte er.
So diskutierten wir eine Stunde miteinander. Wir erläuterten, dass es zu den Aufgaben einer freien Presse gehöre, Geheimdienst-Spitzel zu enttarnen - und das erst recht, wenn sie im Bildungsbereich arbeiteten.

Wir fragten, wie jemand, der einer Diktatur als Spitzel diente, junge Menschen in Demokratie und Freiheit unterrichten könne, wie in wenigen Monaten der Wandel vom Kapitalismus-Kritiker zum Befürworter funktioniere? So ging es hin und her. Irgendwann am Abend öffnete Peter Mauksch seinen Koffer und sagte: "Sie schreiben nichts über mich - und ich lasse Ihnen den Koffer hier. Im Koffer finden Sie viele Listen der Staatssicherheit mit Namen und Zusammenhängen; da können Sie lange drüber schreiben." Das Gespräch war zu Ende. Der Koffer samt Inhalt ging mit Mauksch nach Hause. Am nächsten Tag stand die Enttarnung des Stasi-Spitzel Mauksch in der Zeitung. Er wurde von seinem Arbeitgeber entlassen.

Der Mitarbeiter des Schulamtes Gera, der uns Journalisten "zufällige" Blicke in den Computer mit Listen von stasibelasteten Lehrern erlaubte, wurde einen Monat später hausintern versetzt - überraschend und sofort. Wenn eine Diktatur stirbt, leben Geheimdienste eben weiter. Zumindest eine Zeit lang.

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